Nach ausführlichen Betrachtungen zum Werdegang der Band "Asia", wollen wir uns jetzt einmal die neun Songs auf „Dukes of the Orient“ genauer betrachten (wobei
der neunte Titel nur auf der japanischen Importversion zu finden ist): „Brother
in Arms“ startet mit druckvollem Midtempo, einschmeichelnden Keyboardklängen
und kräftigem Schlagzeug und einem stimmlich dezent an John Wetton erinnernden
Payne am Mikro. Der Text behandelt – wie man das von Asia gewohnt ist – den
Unsinn des Krieges, könnte aber auch ein Seitenhieb an Paynes vormaligen
Wegstreiter Geoff Downes sein. Ein toller, vielleicht nicht unbedingt
herausragender Beginn für das Kommende. Interessanterweise erinnern auch das
Intro und der erste Vers an die Asia der Wetton-Ära.
„Strange Days“, die erste Single von
„Dukes“, treibt ebenfalls in mittlerem Tempo voran, entwickelt dank eines
bombastischen Ansatzes mit vielen Keyboardflächen einen epischen Charakter, der
an die musikalische Richtung der Alben seit 2001 wie „Aura“, „Silent Nation“
oder „Window to the Soul“ anknüpft. Umso trefflicher fügt sich Guthrie Govans
Gitarrensolo ein, der auf diesen Alben ebenfalls zum Stammpersonal gehörte. Das
vorhergehende Moog-Solo zeigt Erik Norlander, wie man ihn eher von seinen
Arbeiten für die Rocket Scientists oder als Solokünstler kennt, obwohl er
überraschenderweise oft Downes´ Spiel nachahmt.
Dies ist auf „Amor Vincit Omnia“, der
einzigen Ballade des Albums, sehr offensichtlich. Abgesehen von einem instrumentalen
Teil mit Gruselfaktor gegen Ende des Stückes, könnte der Song genauso gut auf einem der letzten
Alben mit Wetton zu finden sein (gemeint sind hier besonders „Gravitas“ (2014)
oder „XXX“ (2012). Sogar der lateinische Titel (dt. „Liebe besiegt alles“;
korrekt müsste der auf Vergil zurückgehende Wahlspruch der Minnesänger „omnia
vincit amor“ heißen) ist Kennzeichen auf allen neueren Asia-Alben der
Wetton-Ära von 2008 bis 2014, den Wetton/Downes: Icon-Projekten und Wettons
Soloveröffentlichungen. Songwriting und Text sind hier durchschnittlich, aber
die großen Keyboards und das starke Arrangement verhelfen der Ballade zu
majestätischer Opulenz.
Mal von der Stimme abgesehen, ist „Time
waits for no one“ wahrscheinlich der am meisten nach Wetton-Asia klingende
Titel. Er ist schnell, eingängig und treibend. Statt Hard & Heavy- mäßig
die Muskeln spielen zu lassen, verneigen sich die Gitarren vor der
verschnörkelten Kunst eines Steve Howe. Vermutlich der beste Titel auf dem
Album, zumindest unter den kürzeren. „A sorrow´s crown“ überrollt den Hörer
zunächst mit einer mächtigen Kirchenorgel, bevor es dann mit einem schnelleren
Arena-Rock weitergeht. Hier merkt man die volle 80er-Schlagseite – auch
Sylvester „Rocky“ Stallone könnte dazu filmreif joggen. Der Refrain ist groß
und eingängig, der Mittelteil bringt die so typischen Synthiefanfaren. Der
historisch angehauchte Text endet im Fade-Out mit gesprochenen Worten Paynes,
der zuletzt seine ganze Wut hinausschreit: „America, Americana. All is lost,
God forgive me“. Hier taucht also das lange als (Arbeits)Titel geführte
„Americana“ auf.
„Fourth of July“, der zweitlängste Song,
führt wieder den von den letzten Payne-Alben bekannten Sound fort, aber
erneuert diesen mit einem an die späten 70er bzw. frühen 80er gemahnenden
Streicherarrangement, das so unerhört ist in der Geschichte von Asia. Die so
typische Anti-Kriegs-Thematik kommt recht melancholisch daher; ein längeres, an
das „Arena“-Album erinnerndes Outro mit Akustikgitarre beschließt das Miniepos.
Die zweite Single „Seasons will change“ ist für Fans vermutlich der
langweiligste Song, immerhin wurde er bereits 2012 unter dem Künstlernamen
„Asia Featuring John Payne“ als Vorbote des „Americana“-Albums veröffentlicht
und somit von vielen schon endlose Male gehört. Trotzdem ist es ein Hit, der
von mittlerem bis zu schnellem Tempo, kräftiger Ausführung und hymnischem
Charakter alles aufbietet, was man am Melodic Rock dieser Band lieben kann und
eine logische Weiterentwicklung des vom „Window to the Soul“ bekannten
Materials. Hier wird noch einmal richtig
schön nach Vorne gerockt, bevor das Album mit „Give Another Reason“ auf eine
recht progressive Weise endet. Es beginnt mit einem dreiminütigen
instrumentalen Vorspiel – man beachte die spanische Gitarre – und endet mit
einem im dezent treibendem Midtempo gehaltenen Song epischen Ausmaßes (10
Minuten!), das durchaus an Spock´s Beard oder sanftere Dream Theater erinnert. „The
Rebel“ ist eine kurze, akustisch gehaltene Ballade: Nur Payne wird von Piano,
Cello und Flöte begleitet. Dieses seltsame Stück sprengt wohl den Rahmen des
von Asia Gewohnten und man kann sicherlich darüber diskutieren, ob es ein
passendes Ende für das Album ist. Ich halte es für gut, aber nicht großartig
und als Bonustitel ist es sicherlich am rechten Platz – falls man sich die
Mehrkosten für die japanische Importausgabe leisten möchte.
Neben Norlander
und Payne, der gelegentlich auch an der Gitarre zu hören ist, treten als Gäste
alle Musiker auf, die man schon von den diversen Besetzungen der „Asia
Featuring John Payne“ kennt: Bruce Bouillet (Racer X, The Scream), Guthrie
Govan (Asia, Steven Wilson Band, The Aristocrats), Jeff Kollman (Glenn
Hughes, Michael Schenker Group) und Moni
Scaria (Joey Vera, WWIII) an der Gitarre, ausschließlich Jay Schellen (World
Trade, Asia, Yes) am Schlagzeug. Der Klang ist sehr dynamisch und
differenziert, sprichwörtlich kristallklar und doch druckvoll – geschuldet
einer liebevollen Produktion John Paynes, der das Album deswegen sogar analog
abgemischt hat. Der scheinbar schwerhörige, aber hoch gelobte Rick Rubin sollte
sich davon mal ein Stückchen abschneiden, er selbst findet es ja schick, Musik
so lange zu komprimieren, bis sie unhörbar (laut) geworden ist.
Das Booklet ist überschaubar, bietet jedoch
alle wichtigen Infos und Fotos sowie zusammen
mit dem Inlay an Steampunk verweisende Illustrationen, die gut zu den Fotos vor
einer historischen Eisenbahn passen. Das in Gelb, Beige und Brauntönen gehaltene
Coverartwork von Rodney Matthews, der schon früher für Asia gearbeitet hatte
(u. a. „Aqua“ und die beiden „Archiva“-Kollektionen) ist als Referenz an seine
ähnlich gefärbte Illustration zu „Arena“ (1996) zu betrachten. Sie zeigt
nämlich den geflügelten, diesmal feuerspeienden Löwen, und die Kobra, die hier
jeweils gedoppelt und nebeneinander sitzend auftreten. Gemeinsam symbolisieren
sie also die „Herzöge des Orients“, dies auch durch das Schwert unterstrichen,
das der gelbe und der violette Löwe gemeinsam halten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das
Politik und Krieg anprangernde, die von John Payne favorisierten historischen Verschwörungsstoffe
à la Dan Brown einwebende „Dukes of the Orient“ den zuletzt auf „Silent Nation“
und „Windows to the Soul“ gehörten Weg weiter beschreitet, aber genauso der
eigenen Vergangenheit mit Wetton, Downes, Howe und Palmer Tribut zollt, was dem
Ganzen einen frischen Anstrich verpasst, zumindest wenn man auf diese Art
zeitlosen Stadion-Rock der 80er und 90er steht. Aber „Asia“ waren ja auch noch
nie einer dieser typischen, gefühlt massenhaft auftretenden Klone von
einschlägigen Bands wie Foreigner, Journey oder Night Ranger, dagegen sprechen
allein schon die majestätischen, verspielten Keyboard- und Synthieklänge.
Glücklicherweise finden sich auf dem Album wieder vermehrt die so geschätzten
instrumentalen Klanglandschaften, die auf den letzten beiden Alben mit Wetton
deutlich reduziert worden waren. „Dukes of the Orient“ ist ein sehr starkes,
teilweise episches Album, auch wenn es letztlich nicht am Sockel kratzt, auf
dem sich das unter Fans legendäre und als geradezu göttlich anerkannte Monument
der Payne-Ära, „Aura“ (2001), befindet.
Dagegen sprechen zwei Gründe: Erstens ist es
etwas zu kurz geraten, zumindest fühlt es sich wenigstens so an, da es einerseits
sehr kurzweilig ist, andererseits aber auch das Stück „Seasons Will Change“
schon so lange vorab bekannt war. Auch hätte man sich nach 11 Jahren des
Wartens vielleicht etwas mehr Material erhofft. Was für ein wunderliches Ding
die menschliche Wahrnehmung doch ist!
Zweitens reicht dann doch keiner der Songs
an den Übersong „Free“ vom „Aura“-Album heran. Der ist mit 8 Minuten und 51
Sekunden zwar über eine Minute kürzer als „Give Another Reason“, vermittelt
dafür aber nahezu perfekt das Lebensgefühl seines Titels, da er quasi wie die
Musik gewordene Version des Films „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ (2009)
klingt: bombastisch, majestätisch, episch, mit Tempowechseln von langsam zu
schnell, einem basslastigen, dröhnenden Outro voller Grandezza und eben fantastischen
Soundscapes, die geradezu an die schwebenden Inseln Pandoras erinnern, die
Filmemacher James Cameron ja bei Asias Hauscoverkünstler Roger Dean“ „entlehnt“
haben soll (es gab tatsächlich einen Rechtsstreit). Außerdem wurde „Free“ von
einer so selten vorkommenden Besetzung eingespielt: John Payne (Gesang/Bass),
Geoff Downes (Keyboards), Simon Philips (Schlagzeug; Toto, Mike Oldfield, Gary
Moore) und den drei Gitarristen Steven Howe (Yes, Asia, GTR), Ian Crichton
(Saga, Asia) und Pat Thrall (Pat Travers, Asia, Meat Loaf)!
Wie dem auch
sei, die Welt hat mit „Dukes of the Orient“ das erste Album eines Asia-Line-ups
seit vier Jahren und das sollte gefeiert werden, ganz egal welche Bedeutung man
dem Studiowerk nun im Kontext seiner Vorgänger beimessen mag. Denn besseren
Melodic Rock wird man heutzutage kaum finden.
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